Teil 5
Marmor, Stein und Alu bricht

Als ich am nächsten Morgen aus meinem Zelt schaue, scheint nicht nur die Sonne, sondern auch Sarah und Stefan sind schon da. Sie sind in ihrer Pension in Beiuș früh aufgestanden und waren im Nu über den Pass. Kein Wunder, bei dem Wetter! Unsere Entscheidung von gestern war goldrichtig.

Da Behrang, Sebastian und ich aus verschiedenen Gründen noch nicht ansatzweise startklar sind, und wir den gemeinsamen Kilometerzähler noch einmal resetten wollen, beschließen wir, noch eine weitere Nacht gemeinsam am Fluss zu bleiben. Für den Nachmittag planen wir einen Ausflug in die Bärenhöhle Peștera Urșilor oder die Eishöhle Peștera Scărișoara.

Die selbstgebrannte Hausmarke gestern Abend war ausgezeichnet. Als wir die leere Flasche mit Dank zurückbringen, gibt es umgehend eine neue. Pflaumen bzw. Zwetschgen werden im slawischen Sprachraum sliwa genannt, der daraus gebrannte Sliwowitz hat fast überall auf dem Balkan daraus abgeleitete Namen, z.B. Šljivovica oder Sligovica. Nur in Rumänien heißt die Frucht Prun. Der Einfachheit halber nennt man den Schnaps aber trotzdem Șliboviță bzw. Tuicá.

Daran erkennt man auch schön die Sonderstellung der Rumänischen Sprache, die die östlichste romanische Sprache ist. Wer ein paar Brocken italienisch, französisch oder spanisch drauf hat, kann sich hier ganz gut verständigen, anders als auf dem restlichen Balkan. Muttersprachliche Rumänen können einfaches Italienisch sogar meist recht gut verstehen, weil es die nächstverwandte Sprache ist. Die rumänische Sprache hat nur ungefähr 10% slawische Wörter aufgenommen.

Mit unseren Gastgebern kommunizieren wir allerdings auf Französisch, das zumindest Mihai (Michael) sehr gut spricht. Von Behrang wollen er und seine Frau wiederholt wissen, was für ein Landsmann er sei. Ebenso wiederholt bekräftige ich, dass er ein Germani sei. Ein neuer zwar, aber ein Germani.

Der Fluss Arieșul Mare ist dermaßen kalt, dass er sich hervorragend zum Bierkühlen eignet. Mit einer Wäscheleine binden wir ein paar Flaschen Ursus zusammen, damit sie nicht davonschwimmen.

 

Nach dem Abwasch und der Installation des Bieres wollen wir uns auf den Weg zur einer der Höhlen machen. Kurz vor der Abfahrt spricht Sebastian allerdings den folgenschweren Satz:
Ich fahre nirgendwo mehr hin. Meine Schwinge ist gebrochen.

Und überraschenderweise war das kein Bisschen übertrieben. Kurz hinter der Schwingenachse der TT zieht sich rechtsseitig ein Riss etwa halb um den Arm.

PENG. So schnell kann es gehen. Für Sebastian und sein Motorrad hat die Reise gerade erst begonnen – und ist hier schon zu Ende.

Was nun? Allgemeine Ratlosigkeit.

Man muss dazu sagen, dass die Schwinge zu den am stärksten belasteten Teilen eines Motorrades gehört. Sie lenkt die Stoßbewegungen des Hinterrades auf das Federbein um, und ist – besonders in einem schlaglochverseuchten Land wie Rumänien – essentieller Bestandteil des Fahrwerks. Mit Kabelbindern und Wickeldraht kommt man da nicht weiter.

Sebastian kontaktiert den ADAC, um sich über das Prozedere eines Rücktransports zu informieren. Der Versand eines etwaigen Ersatzteils käme den ADAC deutlich günstiger, aber ein Mechaniker am Telefon sieht für die Schwinge einer Yamaha TT Baujahr 1994 schwarz. Sowas lässt sich in Deutschland kurzfristig nicht auftreiben.

Auch Mihai ist bestürzt. Er fragt, ob man sowas denn nicht reparieren könne? Wir verneinen mit einem Verweis auf das Material – Aluminium. Selbst in Deutschland würde man da nach einem geeigneten Schweißer lang suchen müssen. Dochdoch, in Rumänien geht das, sagt Mihai und verschwindet.

Unabhängig von den unterschiedlichen Optionen bauen wir die Schwinge erst mal aus. Ich hatte auf dem BMW-Treffen vor ein paar Tagen schon meine Kette gewechselt, und bin daher noch im Training. Nach geglücktem Ausbau ist Stefan schon wieder guter Dinge.

Als Mihai zurückkehrt, hat er ein paar seiner Freunde abgeklappert. Er erklärt, die könnten sowas wohl schweißen, hätten aber keine Aluminiumelektroden, die seien teuer. Wir könnten aber ins 30km entfernte Câmpeni fahren, und dort in einem Baustoffhandel Elektroden kaufen, oder die Schwinge direkt vor Ort schweißen lassen.

Eine schwere Entscheidung. Lässt man so ein sicherheitsrelevantes Teil von jemandem reparieren, der wohl auch Alu schweißen kann? Im Endeffekt ist es Sebastians Entscheidung, schließlich muss er am Ende mit dem Teil fahren.

Sebastian hat einige Zeit als Anlagenmechaniker und Vorrichter gearbeitet, ist also sogar ein Bisschen vom Fach. Er beschließt, mit der ausgebauten Schwinge nach Câmpeni zu fahren, um dort einen metallverarbeitenden Betrieb ausfindig zu machen. Dem Schweißer wolle er dann bei der Arbeit über die Schulter schauen, um die Haltbarkeit der Reparatur einschätzen zu können.

Mit Sebastian und der Schwinge auf dem Sozius fahren wir los. In Câmpeni sprechen wir nach einigem Rumgegurke einfach einen Mann auf der Strasse an, der interessiert zu uns herüber sieht. Der Kerl stellt sich selbst als Motorradfahrer vor, und sagt, dass er uns helfen könne. Er rollt seine Moto Guzzi Nevada vom Hof und fährt voraus.

Auf einem alten Fabrikgelände halten wir an. Hinter dreckigen Scheiben flackern endlich die ersehnten Schweißblitze, Qualm steigt aus einer geöffneten Tür. Hier sind wir richtig!

Ein Schlosser guckt sich das mitgebrachte Werkstück an – und ist optimistisch. Gemeinsam mit Sebastian richtet er die Schwinge und macht sich direkt ans Werk.

Der Rest von uns wartet derweil vor der Tür. Wenigstens regnet es nicht!

Der Schlosser lässt das Material während des Schweißvorgangs immer wieder abkühlen. Völlig richtig, bemerkt Sebastian. Generell würde der Mann seine Arbeit gut machen.

Nach etwa einer Stunde liegt die Schwinge repariert auf dem Tisch. Sicher, es ist keine japanische Schweißnaht geworden, aber Sebastian vertraut ihr.

Behrang lässt sich bei der Gelegenheit gleich noch seine selbstgebaute Fußablage an den Sturzbügeln festpunkten. Alle glücklich!

Mit der Schwinge im Gepäck geht es zurück nach Gârda de Sus, wo Mihai schon den Grill für uns angefeuert hat.

Wir bauen die Schwinge wieder ein, sie sitzt wackelt und hat Luft. Sollte es das wirklich gewesen sein? Haben wir noch einmal Glück gehabt und Sebastian muss doch noch nicht nach Hause?

Sicherheitshalber holt Behrang das Esfand raus. Esfand sind spezielle Pflanzensamen, die man, mit Weihrauch gemischt, auf einer heissen Oberfläche poppen und verrauchen lässt. Der Qualm wird um den eigenen Kopf oder ein Objekt gewirbelt, und soll das böse Auge abhalten. Oder eben Unglück und Pech. Ich schwöre auch darauf. Und ich schwöre normalerweise ja auf nix!

Der Rauch, den wir uns danach um den Kopf wirbeln lassen, ist aber auch nicht schlecht! Mihai zeigt uns, was man mit dem Speck, den wir gekauft haben, normalerweise macht. Danach kommen Würste und Fleisch auf den Rost, wir lassen es uns richtig schmecken.

Was für ein Tag. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt – und wieder zurück. Darüber haben wir unser nächstes Etappenziel fast schon ein Bisschen aus den Augen verloren: Quer durch Transsilvanien soll es morgen in die Karpaten gehen.

Die Etappe: 64km
Einmal Werkstatt und zurück, magere 64 Kilometer haben wir heute zurückgelegt – aber vielmehr war im Grunde genommen auch nicht geplant. Unseren Besuch bei der Bärenhöhle müssen wir auf ein andernmal verschieben. Der nur wenige Kilometer entfernt liegenden Eishöle Scărișoara wollen wir morgen zumindest noch einen kurzen Besuch abstatten. Danach soll es, immer am Fluss entlang, weiter Richtung Südosten gehen.


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Kommentare

3 Antworten zu „Teil 5
Marmor, Stein und Alu bricht“

  1. Avatar von Ernie Troelf

    Nur gut, dass ihr den Riss noch vor der Tour entdeckt hattet. Eine sich bei der Fahrt verabschiedende Schwinge ist vermutlich eher nicht so spaßig.

  2. Avatar von Freerk
    Freerk

    Das haben wir uns im Laufe der Tour dann auch immer wieder vor Augen geführt, Ernie. Nicht auszudenken, wenn das bei Tempo 100 auf der Landstrasse passiert wär.

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